Summary
Aristotelianism, Aristotle, Ethics, Reformation, Reformed Protestantism, Vermigli, Strasbourg, Zurich.
Excerpts
EINLEITUNG1. Zur Entstehung und Druckgeschichte von VermiglisKommentar zur Nikomachischen Ethik1.1 Die Straßburger Vorlesungen (15531556)Petrus Martyr Vermiglis Kommentar zur Nikomachischen Ethik erschienzwar erst posthum im Jahre 1563 in Zürich, seine Ursprüngereichen aber zurück in die Zeit von Vermiglis zweitem StraßburgerAufenthalt. Als im Herbst 1553 Vermiglis Position als Regius Professorder Theologie in Oxford infolge der Thronbesteigung Marias I. Tudorunhaltbar wurde, fand er erneut wie 1542 nach seiner Flucht ausItalien Zuflucht in Straßburg und ein Auskommen als Professor ander dortigen Hohen Schule.1 Zusammen mit seinem Freund GirolamoZanchi übernahm Vermigli die Vorlesungen über die Bücher des AltenTestaments. Während Zanchi Jesaja und später Hosea auslegte, widmetesich Vermigli dem Richterbuch.2 Neben den theologisch-exegetischenVorlesungen waren für die oberen Klassen in dem 1538 vonJohannes Sturm konzipierten Organisations- und Lehrplan der StraßburgerHohen Schule auch Lektionen über die Werke des Aristotelesvorgesehen,3 die in Ermangelung einer entsprechenden Lehrkraftebenfalls den beiden italienischen Refugianten aufgetragen wurden.Zanchi dozierte entsprechend neben seinen alttestamentlichen Vorlesungenüber Aristoteles' Physik,4 und Vermigli machte es sich zur Auf-gabe, seinen Studenten die Nikomachische Ethik des Stagiriten zu erklären.In den zweieinhalb Jahren bis zu seinem Wechsel nach Zürich5im Juli 1556 behandelte Vermigli in Straßburg so die beiden erstenBücher und die ersten zwei Kapitel des dritten Buches der NikomachischenEthik.1.2 Die posthume Erstausgabe in Zürich (1563)Da in Zürich bereits Konrad Gessner über Aristoteles las, führte Vermigliseine Ethikvorlesungen nicht weiter und konzentrierte sich stattdessenganz auf die Bibelexegese. Die Materialien zu seinen StraßburgerAristotelesvorlesungen blieben ungedruckt. Nach Vermiglis Ablebenim November 1562 wurde aber von verschiedener Seite derWunsch geäußert, dass dieses unveröffentlichte Material publiziertwürde. In der Folge nahm es Vermiglis ehemaliger persönlicher Sekretär,Giulio Santerenziano (Julius Terentianus), auf sich, Vermiglisnachgelassene Notizen zusammenzutragen, diese mit Vorlesungsmitschriftenehemaliger Studenten zu kollationieren und das Resultat seinerBemühungen schließlich in Form eines fortlaufenden Kommentarsherauszugeben.6 Das Werk verließ im Jahre 1563 die Druckerpressevon Christoph Froschauer d. J. unter dem Titel In primum, secundum etinitium tertii libri ethicorum Aristotelis ad Nicomachum [...] Petri Martyris Vermiliicommentarius.7Vermiglis eigenhndige Manuskripte, auf die sich Santerenziano gemeigener Angabe8 stützen konnte, sind verschollen. Sie wurdenwohl nach ihrer Publikation nicht weiter aufbewahrt. Unklar bleibtferner, von wem Santerenziano die Mitschriften der Straßburger Vorlesungenzur Textrekonstruktion erhalten hatte. Zu vermuten ist, dasser diese von ehemaligen, inzwischen in ihre Heimatstadt zurückgekehrtenZürcher Studenten bekam.9Der Herausgeber Giulio Santerenziano war Vermiglis Schüler inLucca gewesen und folgte diesem 1542 ins Exil, wo er Vermigli in dendarauffolgenden 20 Jahren als getreuer famulus beistand.10 Von Vermiglieher als ein Sohn denn als ein bloßer »Diener« betrachtet,11knüpfte Santerenziano während des Aufenthalts in Oxford 15471553enge Kontakte zu jungen englischen Theologen, die nach der ThronbesteigungElisabeths I. wichtige Positionen in der Kirche Englandseinnahmen. Besonders freundlich scheinen die Beziehungen zum künftigen Bischof von Salisbury John Jewel12 (15221571) gewesen zu sein,welcher seinen alten Freund Giulio in einem Brief an Josias Simler13(15301576) aus dem Jahre 1559 auf frivole Weise karikiert.14 Infolgeseiner engen Beziehungen zu England diente Santerenziano auch späterals Bote und Vermittler zwischen der Zürcher und der englischenKirche. Als man 1561 in England beschloss, Vermigli erneut einenLehrstuhl in Oxford anzubieten, war es Santerenziano, der nach Oxfordreiste, um die offiziellen Schreiben nach Zürich in Empfang zunehmen.15 Auch Santerenzianos Ausgabe von Vermiglis Kommentarzur Nikomachischen Ethik zeugt von seinen guten Verbindungen nachEngland, ist der Widmungsbrief doch an den Bischof von Worcester,Edwin Sandys (15191588), gerichtet, der während der Regierungszeitvon Maria I. Tudor bei Vermigli in Straßburg und in Zürich Unterschlupfgefunden hatte.16Nach Vermiglis Tod im Jahre 1562 erhielt Santerenziano eine lebenslangeRente aus Oxford, arbeitete aber weiterhin als Korrektorbeim Zürcher Drucker Christoph Froschauer d. J.,17 bei dem auchSanterenzianos Ausgabe von Vermiglis Kommentar erschien. In Zürichgenoss er offenbar hohe Wertschätzung, die auch lange nach seinemAbleben um 1579 noch andauerte. Dies bezeugt etwa die offizielleBegründung für die 1620 erfolgte Verleihung des Bürgerrechts derStadt Zürich an Josua Terentianus, ein Enkelkind Giulios: Das Gesuchwurde genehmigt »in Ansehung synes Großvaters Julii Terentiani (dersich vor Jaren mit Herrn Doctor Petro Martyre seligen umb der evangelischenWahrheit willen von Florenz uß Italien hinwegbegeben), wieauch synes Vaters seligen gethrüwer Diensten und Wohlaltens.«